BW 06/2021 – Agenda

Wie nachhaltig ist die Verkehrsplanung?

Keine Woche vergeht in Berlin ohne neue Meldungen zur Verkehrspolitik. Und die führen oft genug zu Verwunderung bei Verkehrsteilnehmern wie Fachleuten. Denn die Nachrichten erscheinen widersprüchlich und führen zu der Frage: Wie passt das alles in ein übergeordnetes Zielkonzept? Ja, gibt es überhaupt eins? Die gute Nachricht lautet „ja“. Im März hat der Berliner Senat endlich ein neues Gesamtkonzept der Berliner Verkehrspolitik beschlossen. Es heißt „Stadtentwicklungsplan Verkehr und Mobilität 2030“ (StEP MoVe) und löst den bisherigen StEP Verkehr 2025 aus dem Jahre 2011 ab. Dieser war schon lange überholt.
Ein halbes Jahr vor Ende der Legislatur konkretisiert der StEP MoVe nun die strategische Leitlinie der Verkehrspolitik des Senats sowie den künftigen Handlungsbedarf. Er soll damit den Rahmen bieten für spezifische Planwerke zum Nah-, Rad-, Fuß- und Wirtschaftsverkehr. Allerdings sind diese inzwischen weitestgehend fertig, der Nahverkehrsplan ist sogar schon seit zwei Jahren in Kraft. Zudem ist im Mobilitätsgesetz seit Jahren festgeschrieben, wie Berlin die Mobilitätswende schaffen muss. Dazu gehört etwa, dass 2030 jede Hauptverkehrsstraße über zwei Meter breite Radstreifen verfügen sowie alle Nebenstraßen und mindestens 350 Kreuzungen fahrradfreundlich umgebaut sein müssen.
Wie aber lautet nun die Zielsetzung des StEP MoVe 2030? Zusammengefasst soll Mobilität in Berlin komfortabel, klimafreundlich, umweltschonend und sicher sein. Das klingt gut, wird in der Konkretisierung aber schnell sehr vielschichtig. Um dafür die richtigen Maßnahmen und Prioritäten zusammenzustellen, steht dem Plan ein Leitbild mit sieben Bausteinen voran, daraus werden Handlungserfordernisse abgeleitet. Derer gibt es allerdings so viele, dass allein das „Mobilitätsprogramm 2023“ eine 16-seitige Maßnahmentabelle enthält. Das Spektrum reicht von raumstrukturellen Maßnahmen wie der Flächensicherung für Schienenwege über die Erarbeitung einer neuen Strategie Parken, die Ermittlung von Daten zur Verkehrsmittelwahl im Pendlerverkehr, die Prüfung von Konzessionssystemen für den Wirtschaftsverkehr, die Mobilitätsberatung von Neubürgern, den Ausbau der E-Ladeinfrastruktur bis zu vielen neuen Tramlinien und der Tangentialen Straßenverbindung TVO. Was davon wirklich kommt und wann, lässt sich nur erahnen, etwa anhand der Spalte Kostenschätzung, in der oft nur ein Wort steht, nämlich „offen“.
Vollkommen klar sind dagegen zwei Dinge, die der Plan sehr klar festlegt und die prägend sein werden: Erstens wird eine neue Obergrenze für den Kfz-Verkehr definiert. Von allen Wegen der Berliner im Jahr 2030 sollen nur noch 18 Prozent mit individuellen Kraftfahrzeugen zurückgelegt werden, unabhängig von Antriebsart, Größe oder Zahl der Räder. 2018 lag dieser Wert noch bei 26 Prozent, 2008 sogar bei 33 Prozent. Umgestiegen werden soll vor allem aufs Fahrrad. Zweitens definiert der Plan das Vorrangnetz für den Kfz-Verkehr, also die Straßen, in denen der Kfz-Verkehr wichtiger sein soll als Rad- und Busverkehr. Hier fällt auf, dass die zentralen Verbindungsachsen entlang Karl-Liebknecht-Str., Leipziger Str. und Torstraße ab jetzt nicht mehr dazugehören. Um die Konkretheit einer dritten Setzung wurde dagegen bis zuletzt politisch debattiert. Am Ende steht die „Zero-Emission-Zone“ als Ziel im Plan, allerdings ohne Umfang, Lage oder Jahreszahl.
Die IHK Berlin hatte sich 2016 bis 2018 intensiv in diesen Planungsprozess eingebracht. Drei Jahre und fast eine Pandemie später bleiben trotzdem viele Fragen offen, vor allem die zur Finanzierung. Klar ist dagegen, dass der Weg zu nachhaltigem Verkehr noch lang und steinig ist.
von Dr. Lutz Kaden
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