BW 04/2021 – Fachkräfte
Luft nach oben
Ein kühler Kopf in Krisenzeiten, hohe Innovationsstärke und nachhaltiger Erfolg – das sind Wettbewerbsvorteile von Unternehmen mit Frauen in Führungspositionen. Ein Blick in die Zahlen der Berliner Wirtschaft zeigt: Rund 81.000 Geschäftsführerinnen steuern die Geschicke in Berliner IHK-Unternehmen – ein Anteil von 30 Prozent. Damit steht die Hauptstadt zwar im Bundesvergleich gut da, dennoch gilt, je größer der Betrieb, desto weniger Frauen in der Chefetage. Bei den Firmen mit 200 bis 999 Mitarbeitenden stellen Geschäftsführerinnen nur noch rund 11 Prozent.
Frauen führen also überwiegend kleine Unternehmen, und dies häufig im Dienstleistungssektor oder in der Tourismusbranche, Wirtschaftsbereiche, die aktuell besonders unter den Einschränkungen der Corona-Pandemie leiden. Kleinere Betriebe haben zudem oft weniger Spielraum für Investitionen, oder es fehlt an Erfahrungen und Personal für die Beantragung von Hilfen und Fördermitteln.
Frauen erhalten weniger Venture Capital
Dazu kommt, dass eine eingeschränkte Betreuungssituation und Homeschooling während der Pandemie für frauengeführte Betriebe mit höheren Produktivitätseinbußen einhergehen. Denn Frauen beschäftigen mehrheitlich Frauen, und die übernehmen nach wie vor den Großteil der Care-Arbeit: Beispielsweise beträgt der Frauenanteil in zwei von drei Berliner Unternehmen, die von einer Frau geführt werden, 75 Prozent. Dass das aufgrund der eingeschränkten Corona-Betreuungssituation eine geminderte Arbeitsleistung bedeutet, belegt eine IHK-Umfrage aus dem letzten Jahr. Um Unternehmerinnen in der Krise zu unterstützen, braucht es daher neben einer raschen Auszahlung ausstehender Hilfen auch zusätzliche Förder- und Beratungsangebote für kleinere Unternehmen sowie funktionierende Konzepte für den Kita- und Schulbetrieb.
Um zu verstehen, warum nach wie vor weniger Frauen im Chefsessel sitzen, lohnt sich ein Blick auf die Unternehmensgründungen: Lediglich elf Prozent der Start-ups werden in Deutschland von reinen Frauenteams gegründet. Und das, obwohl viele Frauen hervorragende Abschlüsse aufweisen. „Frauen erhalten in erster Linie weniger Venture Capital, damit geht wichtiges Gründungspotenzial verloren“, sagt Caroline Kunert, Projektkoordinatorin im Büro der Frauenbeauftragten der HU Berlin. „So sind Investoren oft männlich, und wir hören immer wieder, dass Frauen beim Pitchen ihrer Ideen nicht ernst genommen werden.“
Mentoring-Programm der HU Berlin
Dabei können sich weibliche Gründungen für Investoren auszahlen, denn diese sind oft nachhaltiger, da Gründerinnen weniger unnötiges Risiko eingehen. Um angehende Gründerinnen mit Mentorinnen aus der Wirtschaft zu vernetzen, bietet die HU das Marga Faulstich-Programm an. Darin sollen Mentees durch eine Mentoring-Partnerschaft vor allem Hilfestellung, Inspiration und Vernetzungsmöglichkeiten erhalten. Aber auch die Mentorinnen profitieren und erhalten ein Update zu neuen Trends und Geschäftsmodellen.
Um Gleichstellung in der Wirtschaft voranzubringen, braucht es einen Kulturwandel. Deshalb hat die IHK die Kampagne „Gleichstellung gewinnt“ zusammen mit der Senatsverwaltung für Gleichstellung und der Handwerkskammer ins Leben gerufen. Das IT-Unternehmen Ethinking ist seit letztem Jahr dabei und merkt, wie die Kampagne das Bewusstsein für Gleichstellung im Unternehmen schärft: „Wir schauen bei Bewerberinnen jetzt stärker hin, wo noch verstecktes Potenzial schlummert“, sagt Geschäftsführer Simon Mieth. Rund 30 Prozent im Entwicklerteam sind weiblich, ein hoher Wert, verglichen mit Branchenkonkurrenten. Flexibles Arbeiten war seit Beginn Teil ihres Erfolgsrezeptes: „Vertrauensarbeitszeit gehört zu unserer DNA und hilft dabei, Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen. Unsere agilen Prozesse fördern die Gleichstellung, da wir auf Resultate schauen, unabhängig davon, wer sie erarbeitet hat“, bestätigt sein Kompagnon Christian Müller.
Sie wollen nun – als Experiment – mindestens ein Jahr virtuell arbeiten: „Mit Abklingen der Pandemie werden wir diese Erfahrungen auswerten und in eine völlig neue Office-Struktur wechseln, die noch mehr Freiräume für Familien schafft – ein Wunsch vieler Beschäftigter, allen voran der Väter im Unternehmen“, so Müller. Anderen Unternehmen empfehlen sie: „Sprecht offen im Team über das Geschlechterverhältnis und verleiht Frauen mehr Sichtbarkeit, denn Gleichstellung ist keine Marketingblase. Wir profitieren von gemischten und vielfältigen Teams, das können andere auch!“
von Julian Algner