BW 04/2021 – Mittelstandskolumne
Nur angewandte Forschung ist innovativ
Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft erfordern mehr Anstrengungen auf beiden Seiten – und in manchen Köpfen wohl auch ein Umdenken.
<font color="#56BD66"> <b>Sebastian Stietzel</b> </font>
Vize-Präsident der IHK Berlin, Vorsitzender des IHK-Kompetenzteams Mittelstand und Geschäftsführer der Marktflagge GmbH, Management & Investments
© Christian Kielmann
Zugegeben: Die Kooperation der Berliner Hochschulen mit dem Berliner Mittelstand (KMU) war an dieser Stelle schon mehrfach Thema. Obwohl sich in den letzten Jahren viel getan hat und vor allem die ehemaligen Fachhochschulen inzwischen Positivbeispiele liefern, ist die Kooperationsbereitschaft der Hochschulen mit KMU aufwandsbedingt nur eingeschränkt gegeben, und die fehlende Transparenz zu Leistungsangeboten und Ansprechpartnern in der Wissenschaft wird von den Unternehmern noch immer als größte Zugangshürde gesehen.
Wir haben kürzlich im Stadtgespräch Mittelstand mit den wissenschaftspolitischen Sprechern des Abgeordnetenhauses über unsere Forderungen nach angewandter Forschung und entsprechenden Anreizen in den Hochschulverträgen diskutiert. Dabei überraschte die Einigkeit der Fachpolitiker bezüglich der Defizite und erforderlichen Maßnahmen. Zitat: „Das größte Problem beim Matching liegt in den Hochschulen; unsere Wissenschaftskultur ist nicht auf den Mittelstand ausgerichtet. Es braucht eindeutige Ansprechpartner in den Hochschulen, die durchfinanziert sind und Governance von unten betreiben.“ Schöner hätten wir es selbst nicht ausdrücken können. Die Grundfinanzierung von Infrastruktur und Personal sei unzureichend und die Förderprogramme zu bürokratisch. Der anwesende Vertreter der Wirtschaftsverwaltung konnte zumindest einen positiven Ausblick auf ein neues Förderprogramm zur Validierungsforschung geben, wofür Gelder im zukünftigen Doppelhaushalt eingeplant sind. Auf der Suche nach einer passenden Governance für optimalen Wissenschafts- und Technologietransfer schwindet dann die Einigkeit. Schnell wird auf die bestehenden Strukturen verwiesen, die „funktionieren müssen“.
Und dann sind da noch Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit. Obwohl keiner der Teilnehmer diese infrage stellt, werden sie im vorauseilenden Gehorsam intensiv verteidigt. Dabei bleibt die Frage offen, warum die Anwendung von Forschungsergebnissen nicht mit der Freiheit von Wissenschaft vereinbar sein soll? Vielleicht ist ja alles auch nur ein Problem der Einstellung aller Beteiligten. Wendet man den Blick ins ferne angelsächsische oder auch ins nahe skandinavische Ausland, so ist die Anwendungsorientierung von Forschung eher eine Selbstverständlichkeit als ein Problem. Dort gibt es folglich mehr globale Innovationen. Das sollte auch der Anspruch Berlins sein, denn exzellente Forschung ist nur innovativ, wenn sie – über wie viele Zwischenschritte auch immer – in Anwendung mündet.