Europäische KMU-Politik – Zeit für Taten statt Worte

Mehr als 99 Prozent der Betriebe in der EU zählen zur Kategorie der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Insgesamt sind es mehr als 23 Millionen – gut ein Siebtel davon wirtschaftet in Deutschland. Damit diese KMU sich weiter erfolgreich entwickeln können, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. In ihrer nun auslaufenden Amtsperiode hat die Europäische Kommission eine KMU-Strategie (2020) und ein KMU-Entlastungspaket (2023) vorgelegt. In der alltäglichen Praxis erfahren die Unternehmen allerdings vor allem viele neue Belastungen – vom CO2-Grenzausgleichsmechanismus bis zur Nachhaltigkeitsberichterstattung.

Mehrbelastungen und sinkende Standortattraktivität 

Im IHK-Unternehmensbarometer vom März 2024 geben mehr als die Hälfte der Betriebe an, dass die Attraktivität der EU als Unternehmensstandort in den letzten fünf Jahren gesunken sei. Damit hat sich die EU vom ehrgeizigen Ziel der KMU-Strategie, „Europa zum attraktivsten Standort für die Gründung von Kleinunternehmen zu machen und diese dann im Binnenmarkt wachsen und expandieren zu lassen“, weiter entfernt.
Die im März 2020 vorgelegte KMU-Strategie sollte Unternehmen vor allem bei der grünen und digitalen Transformation unterstützen und Rahmenbedingungen für kleine Betriebe verbessern. Insgesamt blieben die Initiativen – zum Beispiel beim Bürokratieabbau – jedoch hinter den Ankündigungen und den Erwartungen der Unternehmen zurück.

Einige positive Signale, aber kaum Konkretes 

Im September 2023 reagierte die EU-Kommission auf die Herausforderungen durch die Pandemie und die Energiekrise mit einem sogenannten KMU-Entlastungspaket. Unter den 19 hier vorgeschlagenen Maßnahmen gibt es jedoch nur wenige, die tatsächlich konkrete Entlastung bringen – wie beispielsweise die inflationsbedingte Anhebung der Schwellenwerte für Unternehmensgrößen in der EU-Rechnungslegungsrichtlinie oder der Aufschub der Erstellung von sektorspezifischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) um zwei Jahre. Hoffen lässt wenigstens die Absicht der Kommission, die KMU-Schwellenwerte von 2003 zu überprüfen. Aktuell fallen nur Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitern, einem Jahresumsatz von bis zu 50 Millionen Euro beziehungsweise einer Bilanzsumme von höchstens 43 Millionen Euro in die Kategorie KMU, die sowohl bei Förderprogrammen wie auch bei Ausnahmen von besonderen Belastungen relevant ist. Auch aufgrund der seit 2003 eingetretenen Preis- und Produktivitätssteigerungen fordert die Mehrheit der Unternehmen schon länger eine Anhebung der Schwellenwerte. Mit einer Anhebung der Beschäftigungsgrenze würden die damit verbundenen Erleichterungen auch für mittelgroße Unternehmen, sogenannte Mid-Caps, gelten.

Entlastungen noch nicht im Unternehmensalltag angekommen 

Eine echte Unterstützung für Europas kleine und mittlere Unternehmen wären aber vor allem schnell wirksame Entlastungen – davon spüren die Betriebe allerdings bislang kaum etwas. Die Zwischenbilanz der Kommission zum KMU-Entlastungspaket vom Februar 2024 zeigt: Die Mehrheit der Maßnahmen soll erst dieses Jahr angegangen werden – konkrete Auswirkungen bleiben offen.

Bessere Voraussetzungen für eine KMU-freundliche EU-Gesetzgebung schaffen 

Das alles macht den Handlungsbedarf für die neue EU-Kommission in der KMU-Politik deutlich. Die IHK-Organisation hat 50 konkrete Vorschläge zum Abbau und zur Vermeidung von Bürokratie auf EU-Ebene vorgelegt. Notwendig ist eine verbindliche Berücksichtigung der Auswirkungen der EU-Gesetzgebung auf KMU. Voraussetzung ist eine funktionierende Governance-Struktur auf EU-Ebene. Den seit 2019 angekündigten KMU-Beauftragten sollte die Kommission umgehend ernennen. Entscheidend ist, dass er oder sie die Berücksichtigung der Belange von KMUs in der gesamten EU-Kommission gemäß dem „Think Small First“-Prinzip wirksam sicherstellen kann. Bei EU-Maßnahmen mit Belastungen für die Wirtschaft sollte viel stärker als bislang auf eine praktikable Umsetzung für KMU geachtet werden. Unabdingbar für eine glaubwürdige EU-Mittelstandspolitik ist daher auch eine konsequente Durchführung von Folgenabschätzungen und des KMU-Tests bei Gesetzen, die den Mittelstand betreffen.